„Die Glocke“: Was ist schief gelaufen?
Bernhard Daldrup (SPD): Vieles, und zwar schon lange. Kommunalwahlen werden vor Ort entschieden und die Situation der CDU dort ist nicht gut, die SPD war quasi nicht im Rennen. Sicher spielt die Bundespolitik eine Rolle, nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition, insbesondere die CDU/CSU, der es nicht gelingt als ernstzunehmende Alternative zu erscheinen und häufig durch Übernahme rechtsextremer und rassistischer Sprache der AfD noch den Boden bereitet. Im Kern haben wir es aber mit gesellschaftlichem Versagen zu tun. Die Parteien werden negativ wahrgenommen, sie sind nicht in der Gesellschaft verankert, die Vermittlung demokratischer Werte gelingt nicht gut. Ein Beispiel: Die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Sonneberg profitiert vom Mindestlohn. Hinter dieser Verbesserung steht ein politischer Erfolg, der aber nicht vermittelt und wahrgenommen wird. Dagegen vermittelt die AfD ihr Weltbild von Ablehnung und Populismus.
„Die Glocke“: Was antworten Sie den Menschen, die die Demokratie in Gefahr sehen?
Daldrup: Dass sie selbst etwas tun müssen, wenn sie den Ernst der Lage erkennen. Die AfD ist eine ernste Gefahr für unsere Demokratie. Ihr Weltbild fußt auf Hass und Ausgrenzung, auf Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus, und zwar in ganz Deutschland, nicht nur im Osten. Demokratie ist aber nicht nur Parteiendemokratie. Unsere Werte, unsere Art zu leben, sich auseinanderzusetzen, solidarisch zu sein, all das gerät ins Wanken. Die Missachtung des Ehrenamtes, fehlende Wertschätzung unserer gesellschaftlichen Ordnung und Institutionen sind das Ergebnis von zu wenig politischer und gesellschaftlicher Bildung und Engagements. Soziale Medien verstärken die Entwicklung mehr, als dass sie diese Entwicklung abschwächen. Wir brauchen wieder eine bessere Kultur des Zusammenlebens, des Zuhörens, des Zusammenhalts und diese Kultur wächst nicht durch Rückzug ins Private, sondern durch Teilnahme und Teilhabe.
„Die Glocke“: Macht Ihnen der AfD-Erfolg auch Angst?
Daldrup: Angst könnte ich bekommen, wenn die Gegner unserer Demokratie die Mehrheit bekommen. Selbstverständlich mache auch ich mir ernste Sorgen um die Demokratie, vor allem durch den politischen Rechtsextremismus und der Gleichgültigkeit, mit der wir ihm begegnen. Der Kasseler Regierungspräsident ist ermordet worden – ein politischer Mord. Die Toten von Hanau zeigen uns, wohin Rassismus führt. Die Rechtsextremen und Nazis schüren die Ängste der Bevölkerung, Antworten auf die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger haben sie nicht. Es macht mir große Sorge, dass Teile unserer Bevölkerung dieser populistischen Masche verfallen und es uns demokratischen Parteien nicht mehr gelingt, diese Gruppen vom demokratischen Diskurs um die bestmögliche Antwort zu überzeugen.
„Die Glocke“: Steht zu befürchten, dass infolge Verwaltungen nach und nach von Afdlern durchsetzt werden, die dem rechten Gedankengut anhängen?
Daldrup: Als kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag kenne ich die lokale Politik sehr gut. In der deutlich überwiegenden Mehrheit arbeiten fähigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unseren Verwaltungen und Rathäusern, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Aber klar: ein Bürgermeister oder ein Landrat haben Einfluss auf die Personalpolitik ihres Ortes und werden ihn einsetzen. Weder Generalverdacht noch gutgläubige Naivität sind angemessen. Verfassungsfeinde gehören nicht in den öffentlichen Dienst. Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen.
„Die Glocke“: Ampelparteien und Opposition schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, dass die AfD so erfolgreich ist. So oder so, es zeigt augenscheinlich, dass die etablierten Volksparteien ihre Wähler nicht mehr erreichen. Wie sehen Sie das?
Daldrup: Leider stimmt daran, dass die Volksparteien nicht mehr in dem Umfang in der Gesellschaft verankert sind. Die Parteien sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, mit guten und schlechten Seiten. Aber sie haben eine eminente Bedeutung für das Funktionieren unseres Staates, ebenso die Gewerkschaft. Auch in Schulen und am Arbeitsplatz müsste die politische Bildung eine größere Rolle spielen. Demokratie fällt nicht vom Himmel, sie muss erstritten, erkämpft und verteidigt werden. Wer die AfD wählt, weiß vielleicht manchmal nicht, was er wählt, oder es passiert aus Protest. Aber das ist eine inakzeptable Entschuldigung. Wer die AfD wählt, muss wissen, was er tut. Er oder sie stärkt die Kräfte gegen unsere Demokratie und Werte. Das ist kein Versehen.
„Die Glocke“: Wenn etablierte Parteien die Wähler nicht mehr erreichen, wäre es dann nicht sinnvoll, sich an einen Tisch zu setzen und gemeinsam eine schlagkräftige Antwort zu finden?
Daldrup: Versöhnen statt Spalten, das war schon das Motto von Johannes Rau. Gegen die Spaltung der Gesellschaft hilft konkrete soziale Politik: gute Arbeit, bezahlbares Wohnen, lebenswerte Umwelt, familienfreundliche Bildung und Freizeit. Die Idee der solidarischen Gesellschaft braucht mehr Gerechtigkeit, nicht mehr Ellenbogen. Wenn wir uns die Vermögensverteilung in unserer Gesellschaft ansehen, wissen wir, was passieren müsste. Statt diese Politik zu unterstützen, laufen die Konservativen aber den rechten Parteien hinterher, die Brandmauer zu den Rechtsextremen bekommt Risse, das kann man in Sonneberg und bei anderen Kommunalwahlen im Osten gut nachweisen.
„Die Glocke“: Was passiert, wenn die AfD bei Wahlen so stark wird, dass sich immer mehr Parteien zu einer gemeinsamen Koalition zusammenschließen müssen, um eine Mehrheit zu bilden und so die AfD in Regierungsverantwortung zu verhindern?
Daldrup: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das zu verhindern. Soweit darf es nicht kommen. Schon jetzt muss aber allen Fraktionen in den Parlamenten klar sein: Der Feind sitzt am rechten Rand. Besonders die CDU ist dabei in der Pflicht, die Brandmauer nach rechts nicht einreißen zu lassen. In der Regel halten die demokratischen Fraktionen aber noch gut zusammen.
„Die Glocke“: Wie wollen Sie das verlorene Vertrauen der AfD-Wähler zurückgewinnen?
Daldrup: Wir leben in einer Zeitenwende: Pandemie, der russische Angriffskrieg, Klimawandel, Digitalisierung und mehr verlangen viel von den Menschen. Das überfordert manch einen, der sich dann nach den einfachen Antworten sehnt. Deshalb lautet unser Motto auch „Sicherheit im Wandel“, aber auch „Sicherheit durch Wandel“. Politische Entscheidungen sind in einer Ampel-Regierung sehr schwer herbeizuführen. Aber richtig ist auch: die Ampel hat in den vergangenen Wochen zu oft kein gutes Bild abgegeben. Wir müssen unsere politischen Entscheidungen so treffen und auch kommunizieren, dass die Menschen sich mitgenommen und nicht, wie derzeit leider oft, im Stich gelassen fühlen.