Kommunen schlagen Alarm – Handlungsfähigkeit gefährdet!

Hilferuf an Ministerpräsident Wüst – massive Steuererhöhungen vermeiden. 

 

Vertreter des Präsidiums des Städte- und Gemeindebundes haben am 21. September 2023 einen von 355 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern parteiübergreifend unterzeichneten Brief unter der Überschrift „Gefährdung der kommunalen Selbstverwaltung in Nordrhein-Westfalen“ an den Ministerpräsidenten übergeben, in dem sie ihre Sorge um den Fortbestand der kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck bringen.

Der Rat der Stadt Beckum beschließt, sich dieser Initiative anzuschließen bzw. diese zu unterstützen. Die gegenwärtige Situation der kommunalen Haushalte in unseren Städten und Gemeinden ist geprägt von einer beispiellosen Kumulation von Herausforderungen. Das krisengetriebene Zusammenwirken von stagnierenden Steuereinnahmen und Zuweisungskürzungen, stark steigenden Kosten für Sachaufwendungen und Personal sowie stetig neuen Erwartungen an Leistungen der Daseinsvorsorge überfordert die kreisangehörigen Selbstverwaltungsträger. Bund und Land sind gefordert, Schaden von der kommunalen Selbstverwaltung abzuwenden.


Beispielhaft machen wir auf folgende, gleichzeitige Überbelastungen unserer Städte und Gemeinden aufmerksam:

  • stark inflationäre Preisentwicklung;
  • Unterbringung und Versorgung geflüchteter Menschen jenseits der Grenzen der Leistungsfähigkeit sowohl des hauptamtlichen als auch des ehrenamtlichen Engagements ohne erkennbare Aussicht auf Neuordnung des Zuwanderungsgeschehens;
  • unzureichend finanzierter Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Primarbereich;
  • kontinuierlich steigende Umlagebelastung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden infolge der Kostenstrukturen der Landschaftsverbände und der Kreise ohne wirkungsvolle Rechtsschutzmöglichkeit;
  • Verpflichtung zur Erstellung kommunaler Wärmeplanungen;
  • unüberschaubare Aufwendungen mit Blick auf Planung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen;
  • steigende Zinslasten für sämtliche kommunalen Kredite;
  • ungeregelte Zukunft der dynamischen Finanzierung des Deutschlandtickets;
  • unzureichende finanzielle Beteiligung von Bund und Land an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.


Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedern des Städte- und Gemeindebundes NRW sind alarmierend: Im kommenden Haushaltsjahr erwarten 40 Prozent der Städte und Gemeinden den Gang in die Haushaltssicherung – weitere 20 Prozent können heute noch nicht absehen, ob sich dieser Schritt noch abwenden lässt.

Die Alarmsignale dürfen nicht länger überhört werden. Seit langer Zeit hat die kommunale Familie auf die unzureichende finanzielle „Grundausstattung“ der NRW-Kommunen hingewiesen und eine deutliche Erhöhung des Verbundsatzes im Gemeindefinanzierungsgesetz gefordert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und angesichts des bundesweit höchsten Kommunalisierungsgrades ist diese Forderung heute mehr denn je berechtigt. Auf einer aufgabenangemessenen Finanzausstattung zu bestehen, bleibt für uns daher unabdingbar.

Ebenso ist uns bewusst, dass neben dem Land auch der Bund in erheblichem Umfang zu der strukturellen Krise der Kommunalhaushalte beigetragen hat. Deshalb tragen wir unseren dringenden Appell auch über die kommunalpolitischen Vereinigungen sowie die kommunalen Spitzenverbände auch in Berlin mit Nachdruck vor.

Der Rat der Stadt Beckum appelliert an den Ministerpräsidenten, die verfassungsrechtliche Pflicht zur Bereitstellung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Kommunen und die Funktion als Sachwalter kommunaler Interessen bei der Bundesgesetzgebung wahrzunehmen. Das Land steht im gleichen Maße wie der Bund in der Verantwortung den Kommunen gegenüber. Es ist nicht hinnehmbar, dass im Bund Steuersenkungen (wie zum Beispiel mit dem Wachstumschancengesetz) oder zusätzliche soziale Leistungen beschlossen werden, die Löcher in die kommunalen Kassen reißen, welche im Anschluss durch Erhöhungen kommunaler Steuern oder Reduzierung eigener Angebote im Bereich der freiwilligen Leistungen, zum Beispiel in der Jugendarbeit, geschlossen werden müssen. Zu oft und fortwährend haben Bund und Land derartige Vereinbarungen zulasten Dritter – der Städte und Gemeinden – getroffen.

Wenn sich an der gegenwärtigen Situation nichts ändern sollte, werden die Städte und Gemeinden in unserem Land fast flächendeckend gezwungen sein, die Hebesätze der Grundsteuer B in einem Maße anzuheben, das den Bürgerinnen und Bürgern schlichtweg weder vermittelbar noch zumutbar sein wird. Wir sind tief besorgt darüber, dass eine solche Entwicklung den Nährboden für eine weitere Polarisierung und den Vertrauensverlust in unser demokratisches Staatswesen bereitet. Auch die Bereitschaft zu kommunalpolitischem Engagement wird darunter leiden, wenn im Rat nicht mehr gestaltet, sondern nur über Zumutungen entschieden werden kann. Aus diesen Gründen appellieren wir dringend an den Ministerpräsidenten, die Landesregierung sowie Abgeordnete des Landtags und Bundestags, unsere Forderungen zu

  • Wiederherstellung einer aufgabenangemessenen Finanzausstattung durch deutliche Erhöhung des Verbundsatzes im Gemeindefinanzierungsgesetz;
  • grundsätzliche Prüfung von kommunalen Globalbudgets zur Aufgabenwahrnehmung;
  • kurzfristige Ausschöpfung aller fiskalischen und haushaltsrechtlichen Ressourcen, um den Kommunen wieder Handlungsspielräume zu verschaffen, welche die Bezeichnung „kommunale Selbstverwaltung“ auch verdienen;
  • Abbau von Bürokratiehemmnissen;
  • finanzielle und planerische Unterstützung von Maßnahmen der Klimafolgenanpassung;
  • Schaffung verbindlicher Regelungen für den Ausbau der Ganztagsbetreuung in den Grundschulen und Sicherstellung des Betriebs;
  • Schaffung eines Aktionsplans in Verbindung mit Planungserleichterungen und -Unterstützung für die Schaffung von Wohnraum;
  • Verzicht auf gesetzliche Regelungen zulasten der Städte und Gemeinden ohne eigene Finanzierungsverpflichtungen des Bundes beziehungsweise des Landes.